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Zukunft gestalten: Demokratie-Forschung zur Bewältigung globaler Herausforderungen

In einer Welt voller Komplexität und Unsicherheit stehen wir an einem Scheideweg. Dringende globale Herausforderungen wie der Klimawandel9, soziale Ungleichheit8 und die ethischen Dilemmata4, die mit dem rasanten Fortschritt künstlicher Intelligenz (KI) einhergehen, drängen nach Lösungen.

Eine Zukunft, in der KI die menschliche Intelligenz in vielen Bereichen übertrifft, erscheint zunehmend wahrscheinlich3. Können wir diese Technologie sinnvoll und sicher in bestehende Governance-Verfahren und Strukturen integrieren? Aktuelle KI arbeitet oft ohne ethische Überlegungen, erhält Vorurteile aufrecht5 und trifft Entscheidungen mit fragwürdiger Transparenz und Weitsicht2.

Wenn Sie eine einzige Lösung für die dringendsten Probleme der Welt nennen müssten, welche wäre das? Umfassende Bildung? Innovation und Technologie? Oder gar KI?

Die Bedeutung kollektiver Intelligenz

Ich behaupte, dass die Verbesserung der gesellschaftlichen demokratischen Verwaltung (Governance) der Dreh- und Angelpunkt aller möglichen Lösungen ist. Mit anderen Worten: Wir müssen kollektiv intelligenter6 werden, um unsere Zukunft sicher und effektiv zu gestalten.

Mit dem Ausblick auf eine aufkommende Allgemeine KI gilt es mehr denn je, demokratische Selbstverwaltung zu stärken, auszubauen und jegliche KI-Entwicklung symbiotisch in sie einzuhegen7. Im Kern des KI-Dilemmas liegt die Notwendigkeit ethischer Entscheidungsfindung und strategischer Planung – also eben jenes Bereichs, in dem die Schwächen künstlicher Intelligenz am deutlichsten zutage treten. Demokratische Selbstbestimmung von Menschen kann genau diese Lücke füllen. Sie bietet die notwendigen Schranken und Kontrollen, um KI-Entwicklung mit menschlichen Werten und langfristigem Wohlergehen in Einklang zu bringen.

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Die Bedeutung demokratischer Entscheidungsfindung geht jedoch über den Bereich der KI hinaus. Sie erstreckt sich auf unsere kollektive Reaktion auf alle globalen Herausforderungen und stellt sicher, dass politische Maßnahmen inklusiv, kohärent und rechenschaftspflichtig sind. Demokratische Verwaltung fördert wirtschaftliche Stabilität, soziale Gerechtigkeit und Umweltverantwortung – wesentliche Bestandteile, um die Komplexitäten des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.

Einsatz von Multi-Agenten-basierten Simulationen

Um demokratische Prozesse zu verbessern, müssen wir zunächst in die Forschung eintauchen. Traditionell konzentrierte sich die Erforschung kollektiver Entscheidungsfindung darauf, Methoden anhand vernünftig erscheinender Annahmen (wie dem Pareto-Prinzip, Condorcet-Kriterium, Nicht-Diktatur usw.) zu bewerten und schließlich mathematisch zu beweisen, dass keine Methode jemals alle Kriterien erfüllen wird1. Es handelt sich bei kollektiven Entscheidungen also bereits theoretisch um ein nicht-triviales Problem. Doch die wahre Komplexität kollektiver Entscheidungsfindung, nämlich die im realen Kontext, in realen Gesellschaften, ist noch um einiges größer. Reale demokratische Verwaltung geht weit über das bloße Ineinklangbringen individueller Präferenzen hinaus – sie beinhaltet Pfadabhängigkeiten vergangener Entscheidungen, Desinformation und mangelnde Beteiligung, um nur einige offensichtliche Herausforderungen zu nennen.

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sind innovative Ansätze erforderlich. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, langfristig möglichst viele dieser Einflüsse durch Multi-Agenten-basierte Simulationen integriert zu untersuchen.

Das Modell und die Forschungsfragen einer Masterarbeit können diesen Ansatz natürlich nur in ihren absoluten Grundzügen darstellen. Soweit uns bekannt, wurde dieser Ansatz noch nicht systematisch in der Erforschung kollektiver Entscheidungsfindung angewandt, weshalb wir auch sehr grundlegend beginnen. Dennoch sollte das Potenzial von Multi-Agenten-basiertem Modellieren nicht unterschätzt werden. Langfristig wird dadurch sehr wahrscheinlich ermöglicht, alle wesentlichen Aspekte der realen demokratischen Selbstverwaltung zu untersuchen10. Die kollektive Intelligenz einer Gesellschaft durch verbesserte Governance-Verfahren zu stärken, ist wahrscheinlich der effektivste Weg und unser größter Hebel, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern.

Quellen


  1. Felix Brandt, Vincent Conitzer, Ulle Endriss, Jérôme Lang, and Ariel D. Procaccia, editors. Handbook of Computational Social Choice. Cambridge University Press, 2016 

  2. Jana Fehr, Brian Citro, Rohit Malpani, Christoph Lippert, and Vince I Madai. A trustworthy AI reality-check: the lack of transparency of artificial intelligence products in healthcare. Frontiers in Digital Health, 6:1267290, 2024. 

  3. Katja Grace, John Salvatier, Allan Dafoe, Baobao Zhang, and Owain Evans. Viewpoint: When will AI exceed human performance? evidence from AI experts. J. Artif. Intell. Res., 62:729–754, 2018. 

  4. Benjamin Hilton. Preventing an AI-related catastrophe: AI might bring huge benefits — if we avoid the risks

  5. Susan Leavy, Barry O’Sullivan, and Eugenia Siapera. Data, power and bias in artificial intelligence. CoRR, abs/2008.07341, 2020. 

  6. Jan Marco Leimeister. Collective intelligence. Business & Information Systems Engineering, 2:245–248, 2010. 

  7. Thomas W Malone. Superminds: The surprising power of people and computers thinking together. Little, Brown Spark, 2018. 

  8. Thomas Piketty. Das Kapital im 21. Jahrhundert. CH Beck, 2014. 

  9. Hans-Otto Pörtner, Debra C Roberts, H Adams, C Adler, P Aldunce, E Ali, R Ara Begum, R Betts, R Bezner Kerr, R Biesbroek, et al. Climate change 2022: Impacts, adaptation and vulnerability. IPCC Sixth Assessment Report, 2022. 

  10. Robert L Axtell and J Doyne Farmer. Agent-based modeling in economics and finance: Past, present, and future. In: Journal of Economic Literature (2022), pp. 1–10